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    End of Watch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    End of Watch
    Von Carsten Baumgardt

    Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland machte das böse Wort von den „No-Go-Areas" die Runde und scheuchte die voller Vorfreude nach dem Großereignis lechzende Republik auf. Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye fabulierte gar unverblümt von Gegenden in Brandenburg, deren Besuch er keinem Menschen mit anderer Hautfarbe empfehlen könne, denn womöglich würden sie diese Orte nicht wieder lebend verlassen. Dass sich solche kruden Warnungen als absurd erwiesen und die Nation stattdessen mit der gesamten Welt das berühmte Sommermärchen feierte, ist bekannt. Allerdings ist das Phänomen der No-Go-Areas längst nicht überall nur ein Hirngespinst wichtigtuerischer Politiker. Wer sich etwa als Los-Angeles-Tourist nachts auf die Straßen von South Central L.A. verirrt, wird sich umgucken. Hier regieren die Straßengangs, die Mordrate ist acht Mal höher als im ohnehin schon satten Landesschnitt und die Gesetzeshüter stehen auf verlorenem Posten. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt Regisseur David Ayer in seinem im Found-Footage-Stil gedrehten, packend-realistischen Cop-Drama „End Of Watch". Er schildert den Alltag zweier einfacher Straßenpolizisten, die einen ständigen Kampf mit den Gangs ausfechten.

    Die beiden Polizisten Brian Taylor (Jake Gyllenhaal) und Mike Zavala (Michael Pena) sind auf den Straßen von South Central Los Angeles zuhause und legen ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein an den Tag, furchtlos treten sie den alles beherrschenden Gangs entgegen und lassen sich von deren Mitgliedern nicht einschüchtern – denn in ihrem Selbstverständnis machen sie den Unterschied aus: zwischen Gut und Böse, ja sogar zwischen Leben und Tod. Sie schleppen im Dienst zudem stets eine kleine Kamera mit sich herum, mit der sie alles festhalten, was ihnen vor die Linse kommt. Auch als durch ihre Waffen zwei Verdächtige sterben, lässt sie das nur kurz innehalten. Ihr erfahrener Kollege Van Hauser (David Harbour) sieht das alles sehr skeptisch und warnt seine jungen Mitstreiter vor allzu viel Übermut, findet aber kein Gehör. Vor allem Taylor ist ein Macho, der seine Nase auch in Angelegenheiten steckt, die er besser an die Detectives des Drogendezernats weitergegeben hätte. Als die beiden Straßencops eine Verbindung zu einem mexikanischen Drogenkartell aufspüren, das sich in Los Angeles ansiedeln will, werden die Nächte in South Central L.A. noch ungemütlicher.

    David Ayer ist ein Polizeifilm-Spezialist und kennt sich bestens im Cop-Milieu von Los Angeles aus. Als Jugendlicher wurde er von seinen Eltern schlicht vor die Tür gesetzt, daraufhin zog er zu einem Cousin in L.A. und schlug sich allein durch. Er entwickelte ein leidenschaftliches Interesse für die Polizeiarbeit und recherchierte intensiv beim Los Angeles Police Department, diese Eindrücke und Erfahrungen mündeten später in die Drehbücher zu „Training Day", „Dark Blue" und „S.W.A.T.". Auch als er auf den Regiestuhl wechselte, blieb Ayer den Polizeistoffen und der Stadt der Engel treu. So ist nach „Harsh Times" und „Street Kings" auch seine dritte Regiearbeit „End Of Watch" wieder im gleichen kalifornischen Cop-Mikrokosmos angesiedelt.

    Bei aller thematischen Kontinuität findet Ayer in seinen Werken immer wieder neue und andere Aspekte der Polizeiarbeit und ihrer filmischen Darstellung. „End Of Watch" legt er nun als Pseudo-Doku an – sozusagen als Cop-Drama-Variante von „Blair Witch Project" auf den Straßen von South Central L.A. Zu sehen ist das Geschehen größtenteils aus der Perspektive der kleinen Handkamera von Polizist Brian Taylor, es überwiegen starre Einstellungen und fast schon monochrome Bilder. Das für Found-Footage-Filme typische Handkamera-Gewackel von Handkameras hält sich hier aber bis auf wenige Ausnahmen im Grenzen, Ayer sorgt fast immer für ausreichend Überblick. Der ist im Zweifelsfall auch wichtiger als das puristische Festhalten an der formalen Prämisse: So hält er die Perspektive nicht konsequent durch und liefert zuweilen auch Bilder, die nicht von einer Quelle im Film stammen können. Zudem vermischt er die Aufnahmen von Brian und Mike mit Bildern von festinstallierten Polizei-Kameras im Dienstwagen der beiden Cops – und auch die Gangmitglieder pflegen eine ausgesprochene Leidenschaft für Heimvideos. So sehen wir zuweilen auch, was dabei herauskommt, wenn die Gauner beim Abhängen und Unrechttun mit der Digicam herumhantieren.

    Schon die Wahl des Found-Footage-Ansatzes signalisiert, dass David Ayer Wert auf einen Eindruck von gleichsam dokumentarischem Realismus legt: Die mitunter stupide Polizeiarbeit der kleinen Straßencops soll so lebensecht wie nur irgend möglich wirken. Aber nicht nur der Look suggeriert Lebensnähe, auch in der Figurenzeichnung wird nichts beschönigt. So funktioniert „End Of Watch" in erster Linie als präzise Charakterstudie zweier Männer, die gar nicht einmal richtig sympathisch sind. Aber das macht sie letztlich nur faszinierender, auch weil Ayer die Monotonie, die ihren Alltag kennzeichnet, eben nicht ausblendet. Er verzichtet (zunächst zumindest) auf dramatische Zuspitzungen und nimmt sich Zeit für die Arbeitsroutine und auch für das Privatleben der Protagonisten, die nicht nur Kollegen, sondern auch beste Freunde sind. Ein glatzköpfiger Jake Gyllenhaal („Brothers", „Brokeback Mountain") gibt dabei den Vollmacho, der sich selbst für den größten Cop unter der Sonne hält, während der ruhigere Michael Pena („World Trade Center") das rau-aufbrausende Temperament seines Partners ausgleicht. Mit der wunderbar natürlichen Anna Kendrick („Up In The Air") als Janet, die sich in den Macho Taylor verliebt, kommt dann sogar noch jener Charme in den Film, der ihm sonst fehlt.

    Die zu Beginn betont undramatische, für einen Genrefilm geradezu entschleunigte Erzählweise behält David Ayer allerdings nicht lange in dieser radikalen Form bei – fast scheint es, als würde er seinem eigenen Konzept nicht ganz über den Weg trauen. Diese fehlende letzte Konsequenz fällt bis zum Finale nicht wirklich ins Gewicht, dann allerdings fährt Ayer auf einmal einen actiongeladenen Showdown auf. Gegen so einen Knalleffekt zum Ende ist grundsätzlich natürlich gar nichts einzuwenden, hier steht er aber in krassem Kontrast zum zuvor Gesehenen. Auf der Zielgeraden wird damit aus einem dokumentarisch-nüchternen Blick auf den Polizeialltag ein grimmig-zugespitzter Cop-Action-Film. Von Sommermärchen keine Spur.

    Fazit: Mit dem radikal unspektakulären, im Mockumentary-Stil gehaltenen Cop-Drama „End Of Watch" gelingt Regisseur David Ayer eine raue, unglamouröse Charakterstudie über das harte Leben und Überleben zweier einfacher Polizisten auf den Straßen von South Central Los Angeles: realistisch, bitter und doch auch ein bisschen hoffungsvoll.

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