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    X-Men: Apocalypse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    X-Men: Apocalypse
    Von Andreas Staben

    Matthew Vaughns in Rekordzeit fertiggestellter Franchise-Reboot „X-Men: Erste Entscheidung“ wurde von Publikum und Kritik zwar ziemlich positiv aufgenommen, aber die Einspielergebnisse der generalüberholten Mutanten blieben doch hinter den Erwartungen des Studios zurück. Also holte man für die geplante Fortsetzung das Mastermind hinter den ersten beiden ursprünglichen „X-Men“-Filmen zurück und mit ihm auch gleich die Originalbesetzung der Superhelden als Verstärkung für ihre Nachfolger. Mit einem ausgeklügelten Zeitreise-Plot brachte Bryan Singer in „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ alle Stars unter einen erzählerischen Hut und konnte dabei ganz nebenbei einige Wendungen aus dem ungeliebten dritten Teil der ersten Trilogie „X-Men: Der letzte Widerstand“ gleichsam rückgängig machen.

    Der Streich war erfolgreich und nun legt Singer mit dem Comic-Action-Drama „X-Men: Apocalypse“ nach. Auf den ersten Blick folgt er dabei der Hollywood-Maxime der ständigen Steigerung: Während es in „Zukunft ist Vergangenheit“ „nur“ um das Überleben der Mutanten ging, droht dieses Mal schließlich nichts weniger als das Ende der Welt, die Apokalypse. Tatsächlich ist der Bösewicht noch einmal um ein Vielfaches mächtiger, die Action bombastischer, die reine Anzahl der für die Handlung nicht ganz unwichtigen Figuren kaum noch überschaubar – und doch überspannt Bryan Singer den Bogen nicht: „X-Men: Apocalypse“ ist auf- und anregendes Blockbuster-Kino.

    1983. In Kairo wird der unsterbliche Apocalypse (Oscar Isaac) aus Jahrtausende währender Gefangenschaft befreit. Der Mutant will die Welt der Menschen zerstören und aus der Asche ein neues Reich errichten, dazu schart er eine Gruppe von Helfern um sich, darunter Storm (Alexandra Shipp), Psylocke (Olivia Munn) und Angel (Ben Hardy). Aber um seinen Plan möglichst rasch in die Tat umsetzen zu können, ist er auf die besonderen Fähigkeiten von Professor Charles Xavier (James McAvoy) und Magneto (Michael Fassbender) angewiesen. Die Wege dieser beiden mächtigen Mutanten haben sich seit den dramatischen Ereignissen von Washington 1973, die inzwischen zum Schulstoff geworden sind, getrennt. Während der Professor an seiner Schule für Hochbegabte junge Mutanten unterrichtet, hat der flüchtige Magneto alias Erik Lehnsherr irgendwo in Polen ein neues Leben begonnen hat. Doch dann kommt seine wahre Identität ans Licht, was bald tragische Konsequenzen hat. Nun schließt sich Magneto dem Bösen an und wird zum vierten Reiter der Apokalypse – nur Charles Xavier und seine Mitstreiter können das Weltenende nun noch aufhalten.

    Der Film beginnt mit der Stimme von Professor Xavier, der das grundlegende Dilemma der X-Men (und aller Superhelden) in einprägsame Worte kleidet: „Gifts can be curses.“ Auch besondere Begabungen und Fähigkeiten können ein Fluch sein. Auch das Wissen um die Zukunft, der Blick in die Herzen und Hirne der anderen kann Angst machen. Schmerz und Angst durchziehen den folgenden Film dann auch, das fängt schon im Prolog an. Nach Xaviers prophetischen Sätzen katapultiert uns Regisseur Bryan Singer („Die üblichen Verdächtigen“) ins alte Ägypten, ins Jahr 3600 vor Christus: Schier endlose Menschenmassen, pompöse Bauten, schneidige Krieger bilden den Rahmen für eine pharaonische Machtdemonstration. Und hinter dieser Kulisse, die dem Filmemacher die Gelegenheit bietet, seiner Vorliebe fürs Monumental-Ornamentale freien Lauf zu lassen, findet ein beunruhigendes Ritual statt. Es gibt Widerstand, die Pyramiden stürzen ein und scheinen das drohende Unheil unter sich zu begraben, aber fast 6000 Jahre später erwacht eine schreckliche Macht.

    Der gottgleiche Apocalypse wirkt in den 1980ern ein bisschen wie ein Jedi, der sich verlaufen hat (einer der wenigen Witze hier hat übrigens mit dem dritten „Star Wars“-Film zu tun, aber ansonsten bleibt das Zeitkolorit sehr dezent): Der Erzbösewicht ist irgendwie fehl am Platz, aber er trägt seinen Namen völlig zu recht. Er besitzt furchteinflößende Kräfte, die er über die Jahrtausende von anderen Mutanten auf sich übertragen hat und verfolgt mit kalter Konsequenz sein einziges zerstörerisches Ziel – das Ende der Welt. Angst und Schmerz kennt er nicht, ihm fehlen alle menschlichen Züge – der sonst so charismatische Oscar Isaac („Star Wars 7“) zeigt keine Regung und ist unter dem steinern wirkenden Make-up ohnehin nicht wiederzuerkennen. „Die interessieren mich nicht“, sagt er ohne Ausdruck in einer Szene zu Magneto und lässt eine Gruppe von Männern per Fingerzeig buchstäblich im Boden versinken. Apocalypse ist so etwas wie die Perfektion und die Perversion des Superhelden zugleich: Er will die absolute Macht nur um ihrer selbst willen, die Menschen mit allen ihren Schwächen sind da nur Störfaktoren. Und wenn er den verzweifelten Erik Lehnsherr nach Auschwitz führt, um seinen Hass zu schüren, dann legt er den Finger ungeniert in die Menschheitswunde.

    Schon „Zukunft ist Vergangenheit“ war Ideenkino mit Popcorngeschmack, auch in „Apocalypse“ schrecken Bryan Singer und Drehbuchautor Simon Kinberg („Sherlock Holmes“) nicht vor großen Themen zurück: Die Frage nach der Natur des Menschlichen steht hier im Mittelpunkt, wobei Nicht-Mutanten mit Ausnahme der CIA-Agentin Moira Mactaggert (Rose Byrne) nur kleine Nebenrollen spielen und meist ängstlich oder feindselig auftreten. Schon der Kameraflug durch einen „Zeittunnel“ (allein dafür lohnt sich das 3D) vor der Titeleinblendung zeigt uns die Widersprüche im menschlichen Wesen. Und später stehen sich wieder die Positionen des versöhnlichen Charles Xavier, der für die Kollaboration zwischen Mutanten und Menschen eintritt, und des auf Konfrontation setzenden Skeptikers Magneto gegenüber – ein Konflikt, der hier eine neue Komplexität erreicht. Wenn der im Schoß einer neuen Familie zur Ruhe gekommene Erik aus seinem friedlichen inneren Exil aufgescheucht wird und in eine schicksalsschwere und toll gefilmte Konfrontation in einem polnischen Provinzwald gerät, dann fällt es gar nicht so leicht, Partei zu ergreifen. Und auch der eindrucksvolle emotionsgeladene Kurzauftritt von Hugh Jackmans Wolverine erweist sich als überaus ambivalenter Moment, an den übrigens in der obligatorischen Post-Credit-Sequenz angeknüpft wird, die überdies einen verklausulierten Hinweis auf einen möglichen nächsten Schurken liefert.

    „X-Men: Apocalypse“ ist bis zum Ende ein Blockbuster mit moralischen Widerhaken und so darf Michael Fassbender („Inglourious Basterds“) noch weiter in die Tiefen seiner Figur eintauchen, während der Optimismus von James McAvoys („Abbitte“) Professor immer wieder auf die Probe gestellt wird. Aber er gibt den Widerstand gegen Apocalypse nicht auf und hat dabei neben Beast (Nicholas Hoults bester Moment ist diesmal eine beiläufig hingehauchte Bekundung seiner Zuneigung zu Mystique) auch ein paar neue (alte) Mitstreiter an seiner Seite: Besonders beeindruckend fällt der Auftritt von Jean Grey („Game Of Thrones“-Star Sophie Turner) aus, die sich von einer unter ihren telepathischen Kräften leidenden Außenseiterin zu einer mutigen Kämpferin entwickelt und wie ein Phoenix zur Entscheidungsschlacht aufsteigt. Vor allem aber zeigt sie Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, daher versteht sie auch Scott Summers/Cyclops (hervorragend: Tye Sheridan) so gut, dem tödliche, kaum zu kontrollierende Strahlen aus den Augen schießen. Die hin- und hergerissene Mystique (gut wie meist: Jennifer Lawrence) wiederum ist zuerst in einer etwas seltsamen Szene im Ost-Berlin der 80er zu sehen, in der sie Kurt Wagner/Nightcrawler (amüsant: Kodi Smit-McPhee) aus misslicher Lage befreit, danach drückt sie auch diesem Film ihren blauen Stempel auf und schließlich bekommt Quicksilver (Evan Peters), der Sonderling unter den Sonderlingen, wie schon in „Zukunft ist Vergangenheit“ seinen großen Auftritt.    

    Der unvorstellbar schnelle Mutant darf seine Kräfte wieder in einer extrem verlangsamten Sequenz demonstrieren: Es ist, als bliebe die Zeit stehen und er könnte ein unentrinnbares Schicksal aufhalten – aber diesmal hat die virtuose Zeitlupen-Rettungseinlage (begleitet von Eurythmics‘ „Sweet Dreams“) eine stärkere dramatische Seite. Eine ähnliche Mischung aus Poesie und Angeberei präsentiert uns Singer in einer ausgedehnten und wundersamen Montagesequenz um das globale Nuklearwaffenarsenal. Dazu hat Komponist (und Co-Cutter) John Ottman („The Nice Guys“) eine aufgemotzte Version des Allegrettos aus Beethovens 7. Sinfonie arrangiert – keine originelle, aber eine wirkungsvolle Wahl. Die zahlreichen und ausgedehnten Actioneinlagen fallen hier allerdings insgesamt nicht so überraschend aus wie im vorigen Film der Reihe, die von Apocalypse und seinen Helfern entfachte Zerstörungsorgie (wieder einmal erwischt es einige berühmte Sehenswürdigkeiten) hat aber zumindest anders als in einigen anderen Comic- oder Katastrophenfilmen immer auch einen Rest von Erdenschwere: Zur Spektakel-Schaulust gesellt sich das Schaudern vor dem Abgrund. Denn „Apocalypse“ hat trotz aller Blockbuster-Mechanismen und Spezialeffektkaskaden ein großes Herz: Am schönsten zeigt sich dies in zwei ruhigen Szenen, in denen zwei Figuren unter ganz unterschiedlichen Umständen verlorene Erinnerungen gleichsam zurückgeschenkt bekommen.  

    Fazit: Ein bombastisches Superheldenspektakel mit menschlicher Dimension - nicht so überraschen und clever wie der Vorgänger, aber für einen Superhelden-Blockbuster hat Bryan Singer doch erstaunlich viele moralische und emotionale Widerhaken in seinem Weltenzerstörungs-Bombast untergebracht.

    In einer früheren Version dieser Kritik hatte „X-Men: Apocalypse" noch 4 von 5 Sternen. Die ausführliche Begründung für die Änderung der Sternewertung könnt ihr in diesem Artikel nachlesen.

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