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    Can You Ever Forgive Me?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Can You Ever Forgive Me?

    Melissa McCarthy so gut wie nie!

    Von Antje Wessels

    4,5 Millionen Euro. Für diese Summe kann man sich ein Traumhaus bauen, vier der aktuell teuersten Autos der Welt kaufen oder aber den teuersten Brief aller Zeiten ersteigern! 2013 wechselte dieser Brief bei einer Versteigerung des britischen Auktionshaus Christie’s den Besitzer - und zwar für einen dreimal so hohen Preis wie von den Experten zuvor geschätzt. Aber was macht ein handschriftlich verfasstes Stück Papier zu so einem wertvollen Luxusgut? In dem Brief des Forschers Francis Crick aus dem Jahr 1953 erklärt er seinem Sohn die Struktur der menschlichen DNS. Zum damaligen Zeitpunkt wussten nicht einmal Wissenschaftler davon und so gilt diese Aufzeichnung seit ihrer Entdeckung als die Geburtsstunde der Genmedizin. Francis Cricks Brief hat mit seinem Wert von mehreren Millionen Euro natürlich Seltenheitswert. Trotzdem bringen es immer wieder private Aufzeichnungen berühmter Persönlichkeiten unter Sammlern auf hohe Summen.

    Das machte sich in den frühen Neunzigerjahren die US-amerikanische Schriftstellerin Leonore Carol „Lee“ Israel zunutze, die während einer Durststrecke in ihrem eigentlichen Beruf damit begann, persönliche Schriftstücke von Prominenter zu fälschen und diese für viel Geld an Antiquitätenläden zu verkaufen. Auch wenn Israel nach nur rund einem Jahr enttarnt und dafür mit sechs Monaten Hausarrest sowie fünf Jahren Haft auf Bewährung bestraft wurde, gab sie in ihren eigenen Memoiren später zu Protokoll, stolz auf ihre unkonventionelle Geschäftsidee gewesen zu sein. Regisseurin Marielle Heller („The Diary Of A Teenage Girl“) und ihre brillierende Hauptdarstellerin Melissa McCarthy („Ghostbusters“) konzentrieren sich in „Can You Ever Forgive Me?“ folgerichtig auch voll auf den widersprüchlichen Charakter von Lee Israel. Nun ist die Geschichte also ein herausragender Hollywoodfilm mit realistischen Oscarchancen, dabei wollte Israel mit den Briefen ursprünglich ja nur die Krankenversorgung für ihre Katze sicherstellen.

    Lee Israel (Melissa McCarthy) war einmal eine angesehene Biografin. Inzwischen liegt sie allerdings drei Monate mit ihrer Miete im Rückstand, der Kühlschrank ist leer und die lebensnotwendige Tierarztbehandlung für ihre Katze kann sie sich auch nicht mehr leisten. Aus der Not heraus entsteht ein Plan: Als sie davon Wind bekommt, wie viel Geld Menschen gewillt sind, für Briefe prominenter Persönlichkeiten zu bezahlen, fälscht sie ein im Namen der Schauspielerin Fanny Brice formuliertes Schriftstück und bietet es dem Antiquitätengeschäft um die Ecke zum Verkauf an. Prompt kann sie die Tierarztrechnungen ihrer Katze bezahlen und hat gleichzeitig ein neues Geschäftsmodell entdeckt. Nachdem sie ihren besten Freund Jack Hock (Richard E. Grant) in ihre Idee eingeweiht hat, nimmt sie sich diverse Schriftsteller, Schauspieler und Entertainer vor und verfasst in ihrem Namen Notizen an verschiedene Adressaten, die die beiden anschließend verkaufen. Das geht so lange gut, bis Lee eines Tages unvorsichtig wird und zu noch rabiateren Methoden greift...

    In der Lebensgeschichte von Lee Israel steckt zu gleichen Teilen bitterer Humor und berührende Melancholie. Vor Gericht erzählte die 2014 in New York City verstorbene Autorin, ihre Zeit als Fälscherin sei in vielerlei Hinsicht „die beste Zeit ihres Lebens“ gewesen. Allerdings erlebte Israel dieses Gefühl der Anerkennung aber eben auch nur dann, wenn sie vorgab, nicht sie selbst zu sein. Oder wie es ihr Freund und Komplize Jack einmal so treffend formuliert: „Niemand würde Briefe von Lee Israel kaufen!“ Diese emotionale Ambivalenz findet sich nun auch in Marielle Hellers Inszenierung wieder. Ein entsättigtes Grau-in-Grau unterstreicht auf optischer Ebene die Tristesse in Lee Israels Leben (Kamera: Brandon Trost, „The Disaster Artist“), was sich übrigens auch dann nicht ändert, als es für Lee mit der Zeit immer weiter bergauf geht: Nie sah eine von blühenden Tulpen übersäte Blumenwiese trostloser aus als in „Can You Ever Forgive Me?“. Im krassen Kontrast dazu steht die sukzessive immer hoffnungsvoller werdende Lee, die ihre Missetaten zwar aus einer Not heraus beginnt, dann jedoch spürbar Gefallen an ihrer neuen „Arbeit“ findet.

    Melissa McCarthy, die ja vor allem mit ihren brachial-komödiantischen Rollen in Filmen wie „Brautalarm“, „Taffe Mädels“ oder „Spy – Susan Cooper undercover“ in Verbindung gebracht wird, spielt sich mit „Can You Ever Forgive Me?“ in eine völlig neue Liga. Ihre Lee Israel ist auf der einen Seite vom Schicksal gebeutelt: Die Angst um ihre Katze und die Verzweiflung ob ihres bevorstehenden Bankrotts mimt McCarthy derart feinfühlig und glaubhaft, dass man nur das Beste für sie hofft, obwohl sie an dieser Situation nicht ganz unschuldig ist. Auf der anderen Seite fliegen in den Auseinandersetzungen mit ihrer Verlegerin aber auch auf derbe Weise die Fetzen. Immer wieder eckt sie bei ihrem Umfeld an, ohne dabei je vollständig ihre Sympathien zu verspielen. Die im Film porträtierte Lee Israel lässt sich ganz einfach in keine vorgefertigte Figurenschublade stecken. Ob Heldin, Antiheldin, Opfer, Täterin – all diese kategorisierenden Begrifflichkeiten treffen auf Israel genauso wenig zu wie auf ihren Komplizen Jack Hock, der nach einem bewaffneten Raubüberfall im Gefängnis saß und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist.

    Die vorsichtig aufkeimende Freundschaft dieser beiden ganz unterschiedlichen Zeitgenossen wird mit der Zeit immer mehr zum Herzstück der Geschichte und rückt auch den Plot um Israels kriminelle Laufbahn zeitweise in den Hintergrund. Da man aber irgendwann verstanden hat, wie die beiden ihr Geld verdienen, ist es ohnehin wesentlich spannender zu sehen, wie das Skript von Debütant Jeff Whitty und Nicole Holofcener („Genug gesagt“) die Entwicklungen im Fälscher-Business mit der Beziehung zwischen Lee und Jack verknüpft. Der Erfolg spornt die beiden nämlich nicht einfach nur an, sondern macht sie auch immer stärker voneinander abhängig – wenn auch nur einer von beiden etwas verrät oder einen Fehler begeht, liefert er damit ja nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen ans Messer. Richard E. Grant („Die dunkelste Stunde“) und Melissa McCarthy machen zu jedem Zeitpunkt deutlich, wie zerbrechlich diese Freundschaft ist und animieren sich dabei gegenseitig zu darstellerischen Höchstleistungen, die in einem über alle Maße emotionalen Schlussakt, in dem sie ihr gemeinsames Leben noch einmal Revue passieren lassen, ihren fulminanten Höhepunkt finden.

    Gleichzeitig zieht Marielle Heller jede Menge Spannung aus jenen Szenen, in denen Lee Israel die Grenzen ihrer neuen Einkommensquelle austestet. In „Can You Ever Forgive Me?“ könnte jeder Coup der letzte sein, weshalb es auch wunderbar gegen den Strich gebürstet anmutet, wie unaufgeregt Israel am Ende enttarnt wird. Achtung: Spoiler für das wahre Leben! Auch hier hält sich der Film nämlich ziemlich exakt an die wahren Begebenheiten: Israel wurde schließlich nie spektakulär hopsgenommen oder auf offener Straße verhaftet, sondern nur befragt, laufen gelassen und später zur Anhörung vor Gericht geladen. Ende Spoiler! Mit diesem betont ruhigen Schlussakt liefert Marielle Heller so etwas wie die Antithese zu diversen anderen auf wahren Ereignissen basierenden Kriminalgeschichten, in denen ja gerne mal überdramatisiert wird, um die Realität auf der Leinwand noch ein wenig aufregender zu gestalten. Das hat „Can You Ever Forgive Me?“ zum Glück aber überhaupt nicht nötig.

    Fazit: „Can You Ever Forgive Me?“ ist ruhig und aufregend, traurig und komisch, spektakulär und zurückhaltend – Marielle Heller liefert einmal die komplette Bandbreite des emotionalen Geschichtenerzählens. Und die grandios aufspielenden Melissa McCarthy und Richard E. Grant haben sich ihren Status als Oscar-Mitfavoriten redlich verdient!

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