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    Lamb
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Lamb

    Die Horror-Antwort auf "Shaun das Schaf"

    Von Janick Nolting

    Hört man von einem Film über ein Paar, das ein Baby mit Schafskopf großzieht, dann kann es sich wahrscheinlich nur um eigenartigen Trash oder eben – wie im Fall von „Lamb“ – um einen neuen Film aus dem Hause A24 handeln. Also jener Firma, die bereits ausgefallene und kontrovers diskutierte Genremixturen wie „The Green Knight“, „Der Leuchtturm“ oder „Midsommar“ veröffentlicht hat. Valdimar Jóhannsson hat sich besagtes Szenario vorgenommen, um über Mutterschaft, Mensch und Natur zu sinnieren. Mit welcher Ernsthaftigkeit er in diese ungewöhnliche Familiengeschichte eintaucht, irritiert und strapaziert bis zum Schluss, übt aber auch eine unheimliche Faszination aus.

    Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) bewirtschaften mitten in den isländischen Bergen eine Farm. In menschenfeindlicher Umgebung kümmern sie sich aufopfernd um ihre Schafsherde, doch irgendetwas stört den Haussegen. Etwas Unausgesprochenes scheint zwischen dem Paar zu stehen. Als eines Nachts in ihrem Stall ein Mischwesen aus Lamm und Mensch geboren wird, nehmen sie es als ihr eigenes Kind an. Die Familienidylle ist allerdings nur von kurzer Dauer. Mit der Ankunft von Ingvars Bruder Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) wird die Situation auf der Farm immer angespannter…

    Wahrlich kein Gute-Laune-Film!

    „Lamb“ ist das Langfilmdebüt von Valdimar Jóhannsson und man kann dem Isländer wohl kaum fehlenden Wagemut vorwerfen. Seine Familiengeschichte entzieht sich in jeder Minute einer eindeutigen Genrezuweisung und dürfte damit nicht nur für Verleiher auf der ganzen Welt zur Herausforderung bei der Vermarktung werden. Auch von seinem Publikum verlangt Jóhannsson einiges an Geduld und Toleranz ab, der sperrigen Erzählung und skurrilen Prämisse über mitunter ziemlich widerspenstige 106 Minuten hinweg zu folgen.

    Die nebenverhangenen isländischen Landschaften sind ein zentraler Teil der Erzählung von "Lamb".

    Ein nicht unbedeutendes Detail hinter den Kulissen: Als ausführender Produzent war neben Hauptdarstellerin Noomi Rapace („Verblendung“) auch Béla Tarr mit an Bord, also der Mann hinter berühmten Slow-Cinema-Meisterwerken wie „Das Turiner Pferd“ oder dem siebenstündigen „Satanstango“. Obwohl der ungarische Regisseur weder für Drehbuch noch Inszenierung direkt verantwortlich war, sind Tarrs Arbeiten doch ein spürbarer Impulsgeber für „Lamb“. Valdimar Jóhannssons Film wird von einer ähnlich elegischen Schwere und Langsamkeit getragen. Von einer Melancholie und Hoffnungslosigkeit, die den wortkargen Figuren und dem Mikrokosmos, in dem sie sich bewegen, von Beginn an eingeschrieben sind.

    In „Lamb“ sprechen vor allem Landschaften. Selten scheint es richtig hell zu werden, alles ist gräulich eingefärbt. Nebel und Wolken hängen dicht über dem Schauplatz, der sich schon gar nicht mehr wirklich im Diesseits zu befinden scheint. Valdimar Jóhannsson hat insofern passende Stimmungsräume und Bilder für das Drehbuch gefunden, das er gemeinsam mit dem isländischen Schriftsteller Sjón entwickelt hat. „Lamb“ zelebriert seine fantastischen Elemente in diesem düsteren Setting als dauerhafte Verunsicherung. Folk-Horror trifft auf Ehedrama, absurder Humor auf Unbehagen, Naturalismus trifft auf Übersinnliches. Jóhannsson ist bei alldem weder an plakativen Gruseleffekten noch an eindeutigen Interpretationen interessiert. Seine heraufbeschworene Vieldeutigkeit wird ihm allerdings mitunter auch zum Verhängnis.

    Das Unbehagen der Natur

    „Lamb“ kreist neben seiner Erforschung einer außergewöhnlichen Mutterschaft um ein zentrales Thema: das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Sicher, der Film hat sich damit wahrscheinlich DIE Frage unserer Zeit herausgepickt. Seine beiden Hauptfiguren zeigt er als fürsorgende Behüter, aber auch als Manipulatoren, die sich ihre Umwelt zu unterwerfen versuchen. Der zentrale Raub des Schafskindes steht ohnehin als menschliche Anmaßung im Raum, die der Film bis zuletzt auf den Prüfstand stellt. Da lassen sich allerhand Ambivalenzen finden und doch vermisst man das Gefühl, dass „Lamb“ damit auf eine wirklich produktive Diskussion zusteuern würde. Wie seine Figuren versinkt er immer weiter in dichtem Nebel.

    Familiäre Probleme und ein Liebesdreieck werden ausgebreitet, ohne dass man den Eindruck erhält, die Figuren in ihrer Verschlossenheit wirklich kennen zu können. Verzweifelt kämpfen sie um ihren Kosmos, den Eindringlinge von außen zu zerstören drohen. Ihr Umfeld erscheint als Horrorkulisse, die selten ihr gesamtes erzählerisches Potential entfalten darf. Stattdessen schwelgt „Lamb“ etwas zu bemüht in Geheimniskrämerei. Dass da etwas Unheimliches lauert, macht der Film bereits in den ersten kryptischen Sekunden deutlich: Die Kamera schiebt sich knurrend durch ein Unwetter. Pferde fliehen verängstigt – und damit auch vor den Blicken der Zuschauerinnen und Zuschauer. Regisseur Jóhannsson verwandelt das Publikum ebenfalls in ein Ungetüm, einen Eindringling, der sich in diese hermetisch abgeriegelte Welt verirrt hat.

    Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) maßen sich an, den Schafs-Mensch-Hybriden als ihr eigenes Kind aufzuziehen.

    In einer Albtraumsequenz blicken Schafe mit böse funkelnden Augen in die Kamera. Überhaupt scheinen sich unter den Tieren mysteriöse Dinge abzuspielen, von denen die Menschen zu spät etwas ahnen. Vielleicht führen sie ja etwas Böses im Schilde? „Lamb“ vermittelt in solchen Momenten ganz gut einen Eindruck davon, wie eine Horrorversion von „Shaun das Schaf“ aussehen könnte. Was da tatsächlich sein Unwesen treibt, enthüllt Jóhannsson in einer finsteren Schlusspointe, die ebenso eindrucksvoll wie banal erscheint.

    Mit einem Mal offenbart sich das ganze Problem dieses Films: In „Lamb“ brodelt, dräut und schaudert es unentwegt. Immer fester zieht sich die Schlinge. Jóhannsson streut in seiner schleppenden Erzählweise kleine Andeutungen ein, die auf eine große Eskalation verweisen. Am Ende verlieren sich die einzelnen Versatzstücke allerdings nur in einem riesigen Vakuum. Es erschließt sich kaum, warum es für dieses Gefühl der Ohnmacht fast zwei Stunden Laufzeit gebraucht hat. Ein wenig wirkt das leider so, als hätte man den Stoff für einen Kurzfilm auf Spielfilmlänge ausgewalzt. Wenn „Lamb“ final auf dem überwältigten Gesicht von Noomi Rapace verweilt, bleibt so weniger ein interessanter Schock als vielmehr eine gewisse Ernüchterung.

    Fazit: „Lamb“ wird das Publikum gnadenlos spalten! Valdmiar Jóhannssons origineller Mix aus Familiendrama und schauriger Volkssage begeistert mit ungeheuer dichter Atmosphäre und düsteren Vorahnungen. Am Ende wird man für seine Geduld allerdings mit zu wenigen Erkenntnissen belohnt.

    „Lamb“ feiert seine Deutschlandpremiere auf dem Fantasy Filmfest.

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