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    Besessen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Besessen
    Von Carsten Baumgardt

    Der amerikanische Low-Budget-Regisseur Neil LaBute hat sich in der Independent-Szene mit Filmen wie „In The Company Of Men“ und „Nurse Betty“ einen Namen gemacht. Mit dem ambitionierten Liebesdrama „Besessen“ verlässt der Indie-Filmer seine Wurzeln und heuert bei einer regulären Studioproduktion an. Das Ergebnis glänzt durch gute Darsteller, brillante Photographie und Anspruch.

    Im elitären Kreis der Londoner Universitätswelt hat es der junge amerikanische Stipendiat Roland Michell (Aaron Eckhart) nicht leicht. Die Vorbehalte gegen seine Herkunft aus dem Land der Oberflächlichkeit steckt der selbstbewusste Sonderling aber locker weg. Für einen Hungerlohn arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent des renommierten, leicht kauzigen Literaturprofessors Blackadder (Tom Hickey), der ihn sowieso kaum beachtet. Michells Augenmerk richtet sich auf das Lebenswerk des englischen Dichters Randolph Henry Ash (Jeremy Northam). Beim Stöbern in einem von Ashs Werken macht Roland eine Entdeckung: Ein Liebesbrief an eine namenlose Mätresse ist zwischen den Seiten versteckt. Zu seiner Zeit des 19. Jahrhunderts galt der verheiratete Ash als blütenreiner Ehrenmann. Bei seinen Nachforschungen spürt Michell dem leidenschaftlichen Liebesverhältnis zu der bisexuellen vikorianischen Dichterin Christabel LaMotte (Jennifer Ehle) nach. Eine Veröffentlichung dieser stürmischen Affäre käme in den literarischen Zirkeln einer Sensation gleich. In der emotional unterkühlten Akademikerin Maud Bailey (Gwyneth Paltrow), die als brillante Kennerin von LaMottes Werk und Leben gilt, findet Michell eine Verbündete. Trotz anfänglicher Vorbehalte und Aversionen verlieben sich beide ineinander - nicht ohne Konflikte.

    Jahrelang suchte Produzentin Paula Weinstein („Reine Nervensache“, „Der Sturm“) für die Verfilmung von Antonia S. Byatts mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Roman „Besessen“ aus dem Jahr 1990 nach einem geeigneten Regisseur - und wurde schließlich bei LaBute fündig. Das Warten hat sich künstlerisch ausgezahlt. Zwar galt der Indie-Filmer nicht gerade als Spezialist für gediegene Literatur, doch Weinstein sah etwas anderes: LaBute nehme politisch Stellung zum Verhältnis zwischen Mann und Frau - und genau das ist das zentrale Thema des Romans. Über anderthalb Jahre werkelte LaBute gemeinsam mit Laura Jones („Die Asche meiner Mutter“) und David Henry Hwang („M. Butterfly") an dem Drehbuch. Weinstein: „Ob zu vikorianischen Zeiten oder heute - auf jeder Ebene des Romans geht es um die Auseinandersetzung der Geschlechter. Dialoge zwischen Mann und Frau über Vorherrschaft, Führungsrollen, über Sexualität und Liebe - da ist Neil LaBute in seinem Element.“ Das ist zutreffend. Spielend leicht gelingt die Verknüpfung der zwei verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen - zwei völlig unterschiedliche Welten, die dennoch ihre Parallelen aufweisen.

    Im Zentrum der verwobenen Handlung stehen zwei Paare, deren Liebe durch die komplizierten Umstände von Anfang an zum Scheitern verurteilt scheinen. Die dramatischen Konflikte um Moral und Konventionen, die vor allem die etwas zäher wirkenden historischen Teil prägen, halten das Interesse des Zuschauers wach. Jeremy Northam („Enigma - Das Geheimnis“, „Gosford Park“) und Jennifer Ehle („Oscar Wilde“) geben ihre Künstler als von der Liebe Getriebene, die sich gegen alle Widerstände behaupten wollen. Durch ihre außereheliche Partnerschaft werden sie zu Außenseitern. Ein Außenseiter ist auch der von Aaron Eckhart („Erin Brockovich“) gespielte, beziehungsscheue Amerikaner, der sich trotzdem in die von Gwyneth Paltrow äußerst unterkühlt angelegte Akademikerin verliebt. Mit erstaunlich frischem Witz nimmt LaBute die kulturellen Unterschiede und Vorurteile von Briten gegenüber Amerikanern unter die Lupe und zieht sie seicht satirisch durch den Kakao. Als roter Faden zwischen den beiden Handlungsebenen dient die literarische Detektivgeschichte, die Eckhart und Paltrow durch altehrwürdiges London, über opulente Herrenhäuser und wunderschön eingefangene Landschaften führt. Darin unterscheiden sich Vergangenheit und Gegenwart kaum. Nur der Stil hat sich ein wenig verändert.

    Eckhart, der bisher in allen vier Filmen von LaBute mitspielte, kennt den Regisseur bereits aus Studienzeiten und erweist sich für „Besessen“ als gute Wahl. Der etwas schlampig wirkende Amerikaner Michell wirkt auf Anhieb sympathisch und harmoniert im weiteren Verlauf mit der grazilen Gwyneth Paltrow, die erneut eine Britin spielt, sehr gut. Das ergibt für den Film aber auch gleichzeitig ein Problem. Der Handlungsstrang mit Eckhart/Paltrow ist interessanter, lebendiger und frischer - einfach berührender. Das liegt sicherlich auch an den steiferen Umgangsformen im vikorianischen 19. Jahrhundert, aber nicht nur. Das Neuzeitpaar entwickelt mehr Charme und eröffnet größere Identifikationsmöglichkeiten.

    Dennoch ist Neil LaBute mit „Besessen“ ein homogenes, anspruchsvolles Stück Kino geglückt, das im Mainstreambereich sicherlich falsch aufgehoben ist, aber im Arthouse-Cinema seinen verdienten Platz finden wird.

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