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    Horizon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Horizon

    Der erste große Schritt zum ultimativen Western-Epos!

    Von Christoph Petersen

    Man spricht ja oft davon, wie viel Herzblut in einen Film geflossen sei. Aber „Horizon“ ist in dieser Hinsicht ein ganz besonderer Fall: Bereits seit 1987 trug Kevin Costner die Idee zu der epischen Western-Saga mit sich herum – und selbst nach mehreren gescheiterten Finanzierungsversuchen benannte er seinen 2009 geborenen Sohn nach dem Protagonisten des Films „Hayes“: Der Name sollte ihn immer daran erinnern, das Projekt trotz aller Rückschläge unbedingt weiterzuverfolgen. Eine lebendige To-do-Liste, sozusagen. Und tatsächlich: Mit dem Mega-Erfolg seiner Western-Serie „Yellowstone“ im Rücken, setzte der zweifache Oscargewinner schließlich alles auf eine Karte – und finanzierte die 100 Millionen Dollar für die ersten beiden Teile der auf vier jeweils dreistündige Filme ausgelegten Reihe größtenteils selbst. Sogar sein persönliches Anwesen in Kalifornien hat er beliehen, um die neunstellige Budgetsumme vorstrecken zu können.

    Aber das Genre liegt ihm nun mal am Herzen. Es ist schließlich kein Zufall, dass zwei seiner drei bisherigen Regiearbeiten, „Der mit dem Wolf tanzt“ (1990) und „Open Range“ (2003), ebenfalls Western sind (für die er jeweils auch Budget persönlich zugeschossen hat und die sich beide anschließend als Kinohits entpuppten). Aber damit wir uns bloß nicht missverstehen: Kevin Costner plant mit seiner Tetralogie keinesfalls einfach nur noch einen Western – er plant DEN Western. Und nach den ersten drei Stunden können wir ihm attestieren, dass er auf dem besten Weg dahin ist, seinen wahnwitzig-ambitionierten Traum tatsächlich in die Tat umzusetzen! Der klassische Western galt längst als ausgestorben, aber wenn es überhaupt einen Film gibt, der für die große Leinwand das leisten kann, was „Yellowstone“ für den kleinen Bildschirm bereits gelungen ist, dann mit Sicherheit „Horizon“.

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    Kevin Costner taucht erst nach einer geschlagenen Stunde zum ersten Mal im Film auf.

    Das Perfide am Horizont ist ja, dass er so nah scheint, man ihn aber doch nie erreichen kann. Und dasselbe gilt offenbar auch für die titelgebende Stadt Horizon, die im Jahr 1863 auf Flugblättern als „Das Beste im Westen“ beworben wird. Massenhaft hoffnungsvolle Siedler*innen strömen deshalb ins San Pedro Valley, nur um dort festzustellen, dass es die Stadt (noch) gar nicht gibt. Nur ein nettes Plätzchen an einem Fluss mit den Gräbern all jener, die es zuvor auch schon versucht haben. Schließlich gehört das Gebiet den Apachen – und die haben bislang alle massakriert, die es gewagt haben, ihnen ihr Land streitig zu machen. Und trotzdem kommen immer mehr und mehr. Insgesamt soll es in den „Horizon“-Filmen circa 170 Sprechrollen geben. Im ersten Teil lernen wir bereits eine ganze Reihe davon kennen, ohne genau zu erfahren, wie ihr Schicksal sie womöglich später einmal zusammenführen wird:

    Frances Kittredge (Sienna Miller) ist eine der wenigen Überlebenden eines Apachen-Angriffs – und mit ihrer Tochter inzwischen in einem nahegelegenen Fort der US-Kavallerie untergekommen. Dort haben sich der Oberleutnant Gephardt (Sam Worthington) und Colonel Houghton (Danny Huston) längst eingestanden, die Siedlungstrupps nicht wirkungsvoll schützen zu können. Matthew Van Weyden (Luke Wilson) führt einen dieser Trecks an und muss sich dabei unter anderem mit der eingebildeten, wenig anpackenden Juliette Chesnay (Ella Hunt) herumschlagen. Und der Minenarbeiter Hayes Ellison (Kevin Costner) wird unverhofft in ein Duell mit dem schurkischen Caleb Sykes (Jamie Campbell Bower) hineingezogen. In der Folge muss er mit der Prostituierten Marigold (Abbey Lee) und einem zweijährigen Baby die Flucht antreten…

    "Game Of Thrones" im Wilden Westen

    Ich bin gespannt, wie es euch ergehen wird. Aber als ich bei „Horizon“ das erste Mal auf die Uhr geschaut habe, weil ich das Gefühl bekam, dass es jetzt „so richtig“ losgeht, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass der Film in fünf Minuten schon wieder vorbei ist. So wahnsinnig schnell sind drei Stunden im Kino selten verflogen. Die oben angeschnittenen Handlungsstränge sind ja längst noch nicht alle. Und so fühlt es sich beim Rollen des Abspanns ein bisschen an wie das Ende der ersten Staffel von „Game Of Thrones“. Auch dort haben wir all die verschiedenen Protagonist*innen jeweils in ihrem Teil von Westeros und Essos kennengelernt, ohne zu wissen, wann, wo und warum sie später einmal aufeinandertreffen werden. Wobei „Horizon“ zumindest das „Wo“ mit seinem Titel beantworten dürfte.

    Aber dass die Geschichten erst einmal an verschiedenen Orten beginnen, hat den großen Vorteil, dass Costner seinem Anspruch eines allumfassenden Western (einige Teile sollen dann u. a. stärker aus der Perspektive der Apachen erzählt werden) auch visuell gerecht werden kann: Die verschneiten Berge Montanas, die herbstlichen Wälder von Wyoming, das sengende Grasland des San Pedro Valley – „Horizon“ vereint die klassischen Schauplätze des Genres zu einem universellen Panoramen-Rausch, an dem man sich schlicht nicht sattsehen kann. Auch nach drei Stunden kann man sich kaum vorstellen, dass selbst alle vier geplanten Teile zusammen den Hunger auf die grandiosen Bilder von „Open Range“-Kameramann J. Michael Muro werden stillen können.

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    Frances (Sienna Miller) hat das Massaker mit viel Glück überlebt. Inzwischen ist sie mit ihrer Tochter in einem Fort der US-Armee untergekommen.

    Dass man am Ende die Figuren gerade mal grob kennengelernt hat, heißt übrigens nicht, dass „Horizon“ nicht schon im ersten Teil mächtig abliefern würde. Ganz im Gegenteil: Gleich zu Beginn gibt es einen nächtlichen Angriff der Apachen auf die Zeltstadt der Siedelnden, der als 20-minütiger, so gewaltvoller wie intensiver Rausch schon jetzt zu den besten Actionszenen des Kinojahrs zählt. Wer nach dieser Sequenz glaubt, Kevin Costner würde das Genre in aus gutem Grund überholte Gute-Cowboys-gegen-böse-Indianer-Zeiten zurückführen, der hat wohl „Der mit dem Wolf tanzt“ nicht gesehen. Auf jeden Fall sollte man erst mal weiterschauen, bis „Horizon“ den blutigen Auftakt mit einem nicht minder grausamen zweiten Überfall spiegelt, der mit niederschmetternder Konsequent die hässliche Fratze des Wilden Westens offenbart.

    Zwischen den beiden großen Actionszenen begeistert das Skript von Kevin Costner und seinem Co-Autoren Jon Baird mit zahllosen wundervollen, präzise erzählten Momenten, in denen auch der durch die Bank grandiose Cast so richtig glänzen kann: Da gibt es die humorvollen Kabbeleien zwischen Marigold und dem Ladenbesitzer, die trotz ihrer Kürze von einem ganzen gelebten Leben zeugen. Oder den „Spaziergang“ von Hayes und Caleb, bei dem Kevin Costner und Jamie Campbell Bower („Chroniken der Unterwelt“) ihre ganze darstellerische Klasse ausspielen, um die Stimmung ganz behutsam von „harmlos“ bis „brandgefährlich“ hochkochen zu lassen. Ein Glück, dass die Wartezeit zwischen „Horizon“ und „Horizon 2“ in Deutschland nur elf Wochen beträgt – jeder Tag länger wäre auch wirklich pure Folter gewesen!

    Fazit: Der wohl effektivste Appetithappen der Kinogeschichte! Nicht nur gehen die 180 Minuten viel zu schnell vorbei – man kann anschließend auch gar nicht mehr abwarten, was da in den ausstehenden neun (!) Stunden noch alles auf uns zukommen mag. Kevin Costner ist nach dem ersten Teil jedenfalls voll auf Kurs, mit der „Horizon“-Tetralogie das ultimative Western-Epos zu erschaffen.

    Wir haben „Horizon“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen.

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