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    Netflix ist schuld: Sehen wir im Kino bald keine Komödien mehr?

    Das Genre war eine sichere Bank, derzeit aber floppt eine Hollywood-Komödie nach der anderen. Einige Beobachter unken: Bald sehen wir Komödien nur noch auf Netflix.

    Netflix / Dox Deutschland

    2008 waren Komödien noch für 25 Prozent der Einnahmen am US-Boxoffice verantwortlich, 2018 nur noch für 8 Prozent. Während dank gestiegener Preise Rekordsummen eingespielt werden, bringen Komödien deutlich weniger Geld in die Kassen als noch vor zehn Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt das Branchenmagazin Hollywood Reporter in einem Hintergrundartikel, in dem die Befürchtung vieler Insider geäußert wird, dass die Zeit von Komödien auf der großen Leinwand vorbei sei. Die Gründe dafür sind vielfältig, ein entscheidender Faktor aber ist Netflix.

    Die Gründe

    Auf der Suche nach Gründen haben die Kollegen des Hollywood Reporters mit vielen Stars aus der Branche gesprochen. Will Ferrell bemängelt, wie schwer es geworden ist, eine Komödie finanziert zu bekommen und berichtet, dass großartige Ideen abgelehnt werden. Die fehlende Bereitschaft großer Studios, in Komödien zu investieren, wird auch am Beispiel Disney festgemacht. Ed Decter, der mit „Verrückt nach Mary“ einen der Comedy-Hits der 90er schrieb, verweist darauf, dass das Studio „lieber 100 Millionen Dollar in die Werbung für einen Mehr-als-200-Millionen-teuren ‚Avengers‘-Film steckt und zwei Milliarden einnimmt“. Mittelgroße Filme, die dann im Idealfall ein paar hundert Millionen Dollar einspielen, stehen nicht mehr auf der Agenda. Das trifft vor allem Dramen, von denen dann für die Oscars aber noch genug produziert werden, und eben Komödien.

    Autor und Regisseur Judd Apatow verweist zudem darauf, dass sowohl Autoren als auch Schauspieler im Hollywood der Gegenwart lieber „eine Serie entwickeln, die viele Jahre laufen kann, als ein einziges Drehbuch zu machen, bei dem es drei Jahre dauern kann, bis du es richtig hinbekommst“. Neben all diesen Gründen wird aber immer wieder ein weiterer Grund genannt: Netflix! Der Streamingdienst verdränge das Kino als Ort für Komödien.

    Für eine Komödie reicht die Couch

    Netflix setzt bei seinen selbstproduzierten Filmen stark auf Komödien. Das wird auch durch unseren kleinen Test nahegelegt: Wir haben einen neuen Netflix-Account eröffnet und die Ausgangsfrage nach Filmen, die man mag, übersprungen, damit der Startbildschirm nicht durch abgestimmte Empfehlungen beeinflusst wird. Von den dann vorgeschlagenen „Netflix Originalen“ waren über die Hälfte Komödien. Auch interessant: Auf der Startseite folgten bei unserem Test nach allgemeinen Kategorien wie „Beliebt auf Netflix“ und „Derzeit beliebt“ schnell „Komödien“ und „Actionkomödien“ – und zwar vor allen anderen Genre-Listen.

    Unser Mini-Test ist ein Indiz. Deutlich aussagekräftiger aber ist die kürzlich veröffentlichte Erfolgsmeldung, die zeigt, wie sehr die Netflix-Kunden auf Komödien stehen. Adam Sandlers „Murder Mystery“ stellte gerade den Rekord für die meisten Zuschauer am ersten Wochenende bei Netflix auf. Wahrscheinlich haben schon jetzt mehr Leute „Murder Mystery“ auf der Welt gesehen als irgendeine 2019 in den Kinos gestartete Komödie. Es scheint die Denke zu herrschen: Auf der Couch schaue ich mir das an, ins Kino gehe ich aber nur für die großen Blockbuster.

    2019: Jahr der Comedy-Flops

    Anlass für die Untersuchung der Kollegen des Hollywood Reporters war: Bislang sind nahezu alle Komödien im Jahr 2019 gefloppt. In den USA spielte nur eine einzige klassische Komödie mehr als 100 Millionen Dollar ein. Das „Ziemlich beste Freunde“-Remake „Mein Bester & Ich“, das aber im Rest der Welt, wo das Original bekannter ist, niemand sehen wollte, sodass am Ende nur Gesamteinnahmen von 122 Millionen Dollar zu Buche stehen. Gerade erst enttäuschten zwei von Kritikern und auch von den eigentlichen Kinogängern gefeierte Komödien an den US-Kinos.

    Rund um „Booksmart“ gab es nach der Weltpremiere einen großen Hype unter Festivalbesuchern und Filmkritikern. Die Highschool-Komödie wurde deswegen richtig groß in den Kinos gestartet. Doch gerade mal knapp sieben Million Dollar Einspiel am ersten Wochenende waren eine Bruchlandung. Die Analysten kamen zum Ergebnis: Man hätte den Film erst klein starten sollen, um ihn anschließend mit den vollgepackten Kinosälen als Werbung auszuweiten. Ein an sich bewährtes Verfahren – das aber auch nicht immer funktioniert.

    Die Talk-Show-Komödie „Late Night“ startete in nur vier Kinos und sorgte damit am errsten Wochenende für Fabelzahlen: Die 62.000 Einnahmen pro Kino sind das zweitbeste Ergebnis des Jahres in so einem Durchschnittsranking, nur übertroffen von Über-Blockbuster „Avengers: Endgame“, und die vier Kinos waren bei mehreren Vorstellungen ausverkauft. Als jedoch am zweiten Wochenende die Ausweitung aufs ganze Land und auf 2.220 Leinwände folgte, blieben die Kinos leer und es wurden gerade einmal 5,2 Millionen Dollar, nur 2.367 Dollar pro Leinwand, eingespielt.

    Die Lage in Deutschland

    Auch in Deutschland gelingt es US-Komödien aktuell kaum, viele Zuschauer in die Kinos zu locken. Animationsfilme („Drachenzähmen leicht gemacht 3“) und sonstige Franchises („Pokémon - Meisterdetektiv Pikachu“, „Aladdin“) ausgenommen, ist die bislang erfolgreichste klassische Hollywood-Komödie des Jahres das Remake „Glam Girls“ mit knapp 621.000 Zuschauern auf Platz 16 der Jahrescharts. Warum auch dafür ins Kino gehen, wenn Netflix mit „Glam Girls“-Star Rebel Wilson gerade ebenfalls eine Komödie („Isn’t It Romantic“) rausgehauen hat und noch zwei weitere Komödien mit ihr („Pitch Perfect“, „How To Be Single“) im Katalog sind.

    Ein kleiner Lichtblick hierzulande ist, nach Zuschauerzahlen, die Fortsetzung „Monsieur Claude 2“. Die französische Komödie lockte immerhin über 1,2 Millionen Besucher in die Kinos. Vorgänger „Monsieur Claude und seine Töchter“ hatte allerdings noch rund vier Millionen Besucher. Auch deutsche und europäische Komödien werden es gegen Netflix schwerhaben, schließlich greift der Streamingdienst auch im Segment der heimischeren Stoffe an. Gerade erst wurde bekannt, dass mit „Kidnapping Stella“, die neue Komödie mit den „Fack Ju Goethe“-Stars Jella Haase und Max von der Groeben nicht in die Kinos kommt, sondern ab dem 12. Juli 2019 auf Netflix als sogenanntes Original laufen wird.

    Auch in diesem Bereich wächst das Angebot des Streamingdienstes, denn die Nachfrage nach deutschen Komödien ist da, wie ja gerade der Erfolg der Serie „How To Sell Drugs Online (Fast)“ beweist. So bleibt auch hier die Frage: Warum ins Kino gehen, wenn man stattdessen Netflix anschmeißen kann? Wir von FILMSTARTS sagen: Weil das Kino immer noch der beste Ort ist, um Filme zu genießen!

    Der Vorteil des Kinos

    Die aktuelle Entwicklung ist nämlich bedenklich. Wenn Komödien nicht mehr fürs Kino produziert werden, wird es dort immer eintöniger und Blockbuster-Materialschlachten werden noch stärker dominieren als sie es derzeit ohnehin schon tun. Dabei kann gerade eine Komödie im Kino ein Erlebnis liefern, das man zuhause auf der Couch nur schwer nachstellen kann: Das ansteckende Lachen einer großen Gruppe.

    Darauf spielte auch „Booksmart“-Regisseurin Olivia Wilde kürzlich an, als sie auf einen Tweet einer Zuschauerin über deren begeistertes Kinoerlebnis in Wildes Komödie antwortete. „Das ist der Grund, warum wir Filme noch für die große Leinwand machen“. Bleibt zu hoffen, dass es auch viele von Wildes Kollegen noch lange so sehen…

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